Leben

Das Leben von Howard Phillips Lovecraft (Kurzbiographie)

Gelesen von David Nathan, der deutschen Stimme von Jonny Depp

Mein Name ist Howard Phillips Lovecraft. Ich wurde am 20. August 1890 in Providence, Rhode Island, USA geboren, und dort habe ich auch, von zwei kleineren Unterbrechungen abgesehen, mein ganzes Leben verbracht.

Mein Vater war Winfield Scott Lovecraft, der seinen Lebensunterhalt als reisender Handelsvertreter verdiente. Meine Mutter, Sarah Susan Phillips, war eine einfache Frau ... Nun, ja ... eigentlich eine überängstliche »Heulsuse«, die beim kleinsten Wetterwechsel die schlimmsten Katastrophen vorausahnte.

Lovecraft als Kind

Lovecraft als Kind

Susan, Howard und Winfield Lovecraft (ca. 1891)

Susan, Howard und Winfield Lovecraft (ca. 1891)

Als ich drei Jahre alt war, erlitt mein Vater einen Nervenzusammenbruch, begleitet von intensiven Wahnvorstellungen. Er wurde sogar gewalttätig und man verfrachtete ihn in die psychiatrische Abteilung des Butler-Hospitals und entmündigte ihn wegen Geisteskrankheit – er starb 1898.

Damals begann auch die geistige Verwirrung meiner Mutter: Sie redete mir ein, ich sehe so abscheulich aus, dass ich mich meinen Mitmenschen nicht zeigen dürfe, und sie mied jede körperliche Berührung mit mir. Dabei sah ich meiner Mutter sogar recht ähnlich.

Mutter verhätschelte mich maßlos, kleidete mich in Mädchenkleider und wickelte mir lange Locken, derer ich mich schon bald schämte. Mit sechs Jahren konnte ich mich durchsetzen, und das Haar wurde dann abgeschnitten. Mutter hatte ständig Angst, ihr Kleiner könne sich verletzen ... das ging so weit, dass sie an dem Schaukelpferd, auf dem sie mich in den Schlaf wiegte, jede Erhebung abschleifen ließ. Essen durfte ich, was immer ich mochte. Ich aß Süßigkeiten und Eiscreme in Massen, selbst später als Erwachsener noch: Ich erinnere mich, wie schockiert ein Besucher war, als er meine Badewanne einmal voll mit leeren Schokoladenpackungen fand ... Ich ging zu Bett, wie es mir beliebte – meist erst in den frühen Morgenstunden. So wurde ich ein Geschöpf der Nacht, das man am Tag so gut wie nie sah. Selbst gelegentliche Spaziergänge durch mein geliebtes Providence unternahm ich wie ein Gespenst in der Dunkelheit, wenn die Straßen leer waren. Ich war wohl ein frühreifes, altklugen Früchtchen, denn ich sprach bereits fließend mit einem Jahr und mit zwei trug ich schon einfache Gedichte vor. Mit vier konnte ich lesen und mit sechs verfasste ich die ersten eigenen Texte. Ich lernte sehr gerne; als ich acht Jahre alt war, begann ich ein privates Lateinstudium, es folgte das Studium der Chemie, Geographie und Astronomie. Alte Bücher gab es genug im Haus – mein Großvater besaß eine Bibliothek mit zweitausend Bänden, die mir zur freien Verfügung stand. Ach ... die Beschäftigung mit den alten Büchern ist nicht gut für einen jungen Menschen, denn ... es gibt Spielarten der Literatur, die sorgsam gehütet werden sollten ...

Eine offizielle Schulbildung genoss ich kaum: Mit Unterbrechungen besuchte ich etwa zwei Jahre lang die Grundschule, aber mein schlechter Gesundheitszustand und ein rheumatisches Fieber verhinderten, dass ich einen Abschluss machte. Ich war schüchtern und verschlossen und meine Mitschüler hänselten mich. Davon abgesehen, fand ich die Schule völlig uninteressant, denn den Großteil des Lehrstoffs hatte ich mir längst selbst beigebracht.

Ich zog mich für die nächsten Jahre völlig zurück und eignete mir ein phänomenales Wissen an. Daran, einen Beruf zu erlernen, dachte ich nie. Ich blieb tagsüber im Bett liegen, studierte, schrieb in der Nacht altertümliche Gedichte, experimentierte mit meinem Chemielabor, versuchte mich als Zeichner, wollte Kriminalromane schreiben, gab alles wieder auf und tat nichts Nützliches. Gespräche führte ich bloß mit meiner Mutter und den beiden Tanten, die mit uns im Haus wohnten. Vielleicht ist es für den Hörer interessant, zu erfahren, dass ich immer sehr empfindlich gegen Kälte war. Dies fesselte mich noch mehr ans Haus. Offenbar litt ich an ein kaum bekanntes Leiden namens Poikilothermie, bei dem der Erkrankte nicht mehr imstande ist, seine Körpertemperatur selbständig zu halten. Sein Leib nimmt wie bei einem Reptil oder Fisch die Umgebungstemperatur an .... Nun, wenn die Luft im Sommer über dreißig Grad warm war und meine Mitmenschen sich ermattet in den Schatten setzten, blühte ich auf. Im Winter aber war ich krank und konnte die Wohnung nicht verlassen, ohne bewusstlos zu werden. Das wurde mir mehrfach fast zum Verhängnis ...

Bald geriet ich unter den literarischen Einfluss von Edgar Allan Poe und Ambrose Bierce und begann unheimliche Erzählungen zu schreiben. 1914 trat ich der »United Amateur Press Association« bei, einer Gruppe von Freizeitschriftstellern, die sich gegenseitig Briefe mit Ermunterungen und Ratschlägen schrieben und die meine ersten Gedichte, Essays und Horrorgeschichten in ihren Publikationen abdruckten; damals begann ich auch mit meiner ausgedehnten Korrespondenz. Ich schätze, ich habe wohl über 100.000 Briefe geschrieben.

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Lovecraft mit Donald Wandrei und
Frank Belknap Long

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Lovecraft mit Rheinhart Kleiner und
Sonia Greene

Ab 1915 gab ich mein eigenes Fanzine heraus, The Conservative. Hier gab es keinerlei Schranken für meinen Rassismus: Ich behauptete, ich hasse alle Ausländer, sie seien »verkrümmtes, rattenhaftes Ungeziefer«. Es war das Geschwätz von Idioten, das ich mir angelesen hatte und – unreif und weltfremd, wie ich war – auch glaubte. Zur damaligen Zeit war Rassismus in Amerika weit verbreitet. Wie dumm ich doch war ... Erst Jahre später wurde mir dies bewusst. Meine besten Freunde waren Einwanderer. Ich würde Lösegeld bezahlen, konnte ich so verhindern, dass einige meiner frühen Essays und Leitartikel ausgegraben und nachgedruckt werden!

Ich veröffentlichte in den nächsten Jahren viele Storys in den Magazinen und verdiente ein paar Dollar, aber ich kam zu dem Schluss, dass die Literatur kein rechter Beruf für einen Gentleman ist. Man sollte das Schreiben allenfalls als eine elegante Fertigkeit betrachten – nie, niemals, hätte ich mir vorstellen können, dass ich einmal zum bedeutendsten Autor unheimlicher Literatur neben Edgar Allan Poe werden würde – doch dies geschah alles erst nach meinem Tod.

Meine klägliche finanzielle Lage besserte ich durch Überarbeitungen fremder Texte auf. Oft schrieb ich komplett neue Storys und bekam für diese tagelangen Arbeiten bloß ein paar Dollar. Ich beschwerte mich nie darüber; wahrscheinlich war ich Zeit meines Lebens der vielleicht billigste Ghostwriter der Welt.

Jahre später – im März 1919, um genau zu sein – musste meine Mutter wegen ihrer Anfälle von Hysterie und Depressionen in die Nervenheilanstalt eingeliefert werden, in der schon mein Vater sein Ende gefunden hatte. Die Ärzte diagnostizierten einen »psychosexuellen Kontakt« mit ihrem Sohn, der auf den Sohn jedoch größere Auswirkungen als auf die Mutter haben müsse ... Eine geistige Abnormität liege bereits seit mehr als sechsundzwanzig Jahren vor, seit fünfzehn Jahren sei sie geistig gestört ... Was für Quacksalber! Sie hatten gerade die Psychoanalyse des Wieners entdeckt ... Mutter starb 1921.

Mein Leben ist so still, so ereignislos und so unauffällig verlaufen, dass es zu Papier gebracht, bestenfalls erbärmlich, glanzlos und fade erscheinen muss. Gelegentlich besuchten mich Brieffreunde. Sonst blieb ich allein im Schatten meines Arbeitszimmers.

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Lovecraft mit der Barlow-Familie

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Lovecraft mit Frank Belknap Long und J.F. Morton

Neben Süßigkeiten aß ich kaum etwas: hin und wieder Käse und Bohnen – kalt aus der Dose. Dass ich dennoch so lange gesund blieb, ist fast ein Wunder. Mitte der dreißiger Jahre litt ich plötzlich an Sehstörungen, geschwollenen Füßen und Schmerzen im Magen-Darm-Bereich. Ich tat es leichthin als Verdauungsproblem ab. Aber Anfang 1937 wurde ich schwächer und nahm ab. Ein Arzt, der mich am 2. März untersuchte, stellte Dickdarmkrebs fest. Am 10. März wurde ich mit starken Schmerzen ins Hospital eingeliefert und man spritzte mir Morphium. Doch ich hatte keine Chance – um ehrlich zu sein, ich wollte keine ... ich sehnte den großen Schlaf herbei ... Der Krebs hatte sich in meinem ganzen Körper ausgebreitet; eine Operation kam nicht mehr in Betracht. Ich erwartete also den Tod.

Am 15. März 1937 dämmerte ich in den frühen Morgenstunden hinüber – und der Name Lovecraft starb mit mir aus.

Der Text wurde von Frank Festa verfasst und dem Hörbuch »Der Cthulhu-Mythos« entnommen.
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